Das widderopfer von Lavant
In seinen Wurzeln sehr weit zurückreichend,
stellen manche wis-senschaftliche Meinungen diesen Brauch in eine
Kontinuität zu heidnischen Kultformen. Doch es wird wohl immer
geheimnisvolles Dunkel darüber liegen, in welches weder die
schriftliche Ober-lieferung, noch der Spaten des Archäologen
bisher einzudringen vermochten.
So mag es an dieser Stelle gestattet sein, auf jene Erklärungen
auszuweichen, die sich das einfache Volk zurechtlegte und wei-ter
erzählte von Generation zu Generation, ohne sich bewußt
zu werden, daß es sich in den Bereich der Sage begibt! Denn
auch nach Prägraten und Virgen, so weiß es die Volksmeinung,
ist der "große Sterb" gekommen, wie alle großen
Seuchen und die Pest ge-nannt wurden. In dieser schrecklichen Zeit
wurde viel gebetet und dem Himmel verlobt, damit Gott dort eingreife,
wo der Mensch und sein medizinisches Wissen hilflos dem Schrecklichen
ausge-liefert waren. Man versprach eine jährliche Wallfahrt
zu Unserer Lieben Frau nach Lavant und die Opferung eines Widders
bei der gü-tigen Mutter. Bald danach sah man auf einer Wiese
bei Niedermauern den Teufel persönlich mit einem Widder stoßen.
Die Rauferei dürfte fürchterlich gewesen sein, das Ende
überraschend: Der Teufel zog den kürzeren! Man kann sich
vorstellen, wie sehr die Leute darob aufatmeten, noch dazu ging
die Seuche seitdem zurück.
Ein Bildstöckl bei jener Wiese zeigte dann ein Bild, auf dem
im Hintergrund der Kampf zwischen Widder und Teufel dargestellt
wurde, vorne zieht ein Leichenzug vorüber. Zum Danke für
die wun-derbare Erlösung von der furchtbaren Plage ziehen die
Prägratner und Virgener alljährlich nach Maria Lavant
und opfern dort einen prachtvollen Widder, den schönsten, den
sie haben. Er darf durch zwei Jahre vorher nicht geschoren werden
und wird zur Wallfahrt selbst prächtig aufgeputzt.
Ein Teilnehmer der Prozession vom Jahre 1892 erzählt, im Jahre
1634/35 habe in Prägraten und Virgen furchtbar die Pest gewütet.
Nach dem Verlöbnis einer jährlichen Wallfahrt nach Lavant
und eines Widderopfers, nach getreulicher Erfüllung durch mehrere
Jahre, ließ die Seuche tatsächlich nach.
Nun, da diese schreckliche Geißel nicht mehr durch das Tal
peitsch-te, erlahmte zusehends der fromme Eifer, bis dann das einstige
Gelübde völlig in Vergessenheit geriet. Die Himmlischen
hatten freilich ein besseres Gedächtnis, prompt kehrte die
Pest zurück. Jetzt wurde das Verlöbnis alsogleich erneuert,
jedoch sollte nun der Widder in die Pfarrkirche nach Lienz geopfert
werden.
Es kam aber anders: Als der Widder über die Brücke in
die Pfarr-kirche geführt wurde, riß er sich los und sprang
in die Isel. Nach längerem Bade ging er bei Lavant an Land
und eilte als verlobtes Opfertier selbst in die Kirche Unserer Lieben
Frau. Seitdem gingen die Gemeinden Prägraten und Virgen jedes
Jahr am Sonntag vor dem Weißen Sonntag nach Lavant, wo man
nach Mittag gegen Vesperzeit einlangt. Der Bericht des vorigen Jahrhunderts
beschreibt auch die Zeremonie des Einzugs, daß man zuerst
um die Kirche ziehe, dann "in die obere Kirche, die etwas höher
liegt, dort ziehen sie auch zuerst um die Kirche herum und dann
erst in die Kirche hinein, um den Altar herum und wieder von der
oberen Kirche fort; dann erst erfolgt der eigentliche Einzug in
die Hauptpfarrkirche. Dort, an der Kirchentür angekommen, opfern
sie am Wurftisch, Eingangs rechts, zuerst ihre Opfer, hier gewöhnlich
ein Geldstück, welches jedoch vor der Opfergabe geküßt
wird..., sodann geht das ganze Volk wieder zuerst um den Altar herum
und kommt an der Epistelseite heraus; die Weibsperson, die den Wid-der
führt, kniet an der untersten Stufe des Hochaltars nieder,
dasselbe muß auch das Opfertier tun und tut es auch, weil
es die Sache schon eingelernt hat." Nach der Vesper, so unser
Berichter-statter, gehen die Leute ins Dorf und suchen ihre Herberge
auf, wobei Widder und Begleiterin beim Kirchpropst wohnen. Am Weißen
Sonntag wird der Widder abermals in die Kirche geführt, wo
er dem Amt mit Predigt beiwohnt. "Dann wird der Widder nochmals
um den Altar geführt und die Opferung ist vollendet. Das Kreuz
(= die Wallfahrer) zieht hinein in das Tal; die Person, die den
Opferwidder herangezogen, nimmt mit Tränen in den Augen von
ihm Abschied! Sieht der Widder dann seine Wärterin nicht mehr
um sich und sich von derselben verlassen, dann wird das Tier, das
früher ganz zahm und ruhig sich verhielt, wild und stößt
mit den Hörnern gewaltig um sich..."
Der Brauch des Widderopfers wird heute noch durchgeführt, die
Prozession führt jedoch nur mehr von Virgen nach Obermauern.
Soweit ein paar Zeilen zu diesem eigenartigen Brauch. Verbleibt
nur noch anzudeuten, daß die frommen Wallfahrer recht gut
ernst-haftes Gebet zu den überirdischen Mächten mit irdischen
Freuden zu verbinden wußten, wobei wir die Gefahren der Nächtigung
in der Fremde aber wirklich ausklammern wollen.
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